Dienstag, 19.09.2000
Als wir heute morgen aufstehen, ist es bewölkt, und die Sonne kommt nur kurz zum Vorschein. Gestern haben wir auf unserer Fahrt hierher wohl
ein Riesenglück mit dem Wetter gehabt. Nach dem Frühstück geht es los ins nur noch 24 Meilen entfernte Valdez. Die breit ausgebaute Straße
führt von unserem Campground immer bergab durch eine alpenähnliche Landschaft. An einer Baustelle macht uns das Stop-Girl auf Bären am
Hang aufmerksam. Man sieht sie leider nur durch das Fernglas. Tatsächlich grasen hochoben auf einem Hang mit Beerensträuchern eine
Bärenmama mit zwei Jungen und zwei größere Bären. Es scheint sich allesamt um Schwarzbären zu handeln. Als wir nach der Weiterfahrt
wenige Zeit später Valdez erreichen, fahren wir zuerst einmal zum Marineterminal, wo die von der Proudhoe-Bay beginnende Alaska-Pipeline
nach über 800 Meilen endet und das bis hierher transportierte Öl in großen Tankschiffen verladen wird. In der Hauptsaison kann man hier
Führungen mitmachen, aber um diese Zeit ist das natürlich nicht mehr möglich.
Am Eingang zum Terminal stehen große Schautafeln mit der
Geschichte der Pipeline, sowie über das Beladen der Tanker. Auch auf Sicherheitsvorkehrungen wird groß hingewiesen, die dazu dienen
sollen, daß sich das große Tankerunglück der "Exon Valdez" vom 23. März 1989 nicht mehr wiederholen kann.
Dann fahren wir in die kleine
Stadt Valdez mit ihren 4.000 Einwohnern, eine typische Hafenstadt. Unmittelbar vor dem Ort mündet ein kleiner unscheinbarer Bach in den
Fjord, der voller laichender Lachse ist. Man hat hier eine Holzplattform gebaut, von der man das Schauspiel betrachten kann. Am
geschlossenen Fähranleger wird auf einem Zettel darauf hingewiesen, daß die letzte Fähre nach Whittier übermorgen hier ablegt (die Überfahrt
dauert 6,5 Stunden). Ein Wohnmobil (20 - 21 Fuß) würde 110 Dollar kosten, pro Person dann noch einmal 59 Dollar. Das ist ja auch nicht
gerade preiswert. Wir wollen lieber den großartigen Richardson Hwy. zurückfahren und dann über den Glenn Hwy. nach Anchorage und weiter
auf die Kenai-Halbinsel. Heute machen wir mal vom Kochen Pause und gehen Mittagessen, was sich für mich als großer Fehler erweist.
Offensichtlich habe ich in meinem Essen Mehl gehabt und hinterher arge Probleme.
Wir tätigen noch einen kleinen Einkauf im Supermarkt und
begeben uns dann ins Visitor- Center. Dort hängt der aktuelle Wetterbericht: Morgen soll es noch einmal schön bleiben, aber ab Donnerstag
dann regnen! Anschließend verbringen wir noch längere Zeit im äußerst interessanten Museum von Valdez, wo die Geschichte der Stadt
einschließlich Goldgräberzeit und dem Erdbeben von 1964 anschaulich dargestellt ist.
Mittlerweile ist es 18 Uhr geworden, und wir fahren noch
zum kleinen Airport, wo gerade eine Convert 580 Maschine nach Anchorage startet. Dann geht es zurück zum Blueberry Campground. Heute
stehen hier nur zwei Zelte. Auf der Fahrt zum Campground fällt mir aus unerklärlichen Gründen ein kleiner Pickup auf, der erst vor uns herfährt,
dann in ein Baucamp einbiegt und wenig später wieder auf die Straße einbiegt. Dieser Wagen steht dann auf der unteren Zufahrtsstraße zum
Blueberry Lake. Die Camper vom zweiten Zelt sind gerade dabei, unter dem Dach der Schutzhütte ihr Abendessen zu kochen. Wir stellen uns
auf den gleichen Platz wie gestern. Und dann ereignet sich wenige Minuten später etwas, was mein bisheriges Bild von Kanada und Alaska ins
Wanken bringt. Wir haben uns kaum auf den Platz gestellt, da sehen wir einen Mann und eine Frau auf dem Weg vor unserem Wohnmobil
herspazieren. Er trägt ein Jagdgewehr über der rechten Schulter. Ich denke noch flüchtig: "Ist ja irgendwie komisch", während Horst sich auf
einmal wieder seine Jacke anzieht mit der Bemerkung, er ginge noch ein wenig spazieren. Wenig später kommt er wieder und meint, die
Beiden wären aber seltsam gewesen. Der Mann wäre gerade aus dem Gebüsch gekommen mit einer blauen Plastikplane unter dem Arm und
habe offensichtlich das Zelt abgebrochen. Auf seine Frage, ob er Jäger sei, habe der Mann grinsend geantwortet, er sei auf Bärenjagd. Wir
essen erst einmal zu Abend und brechen dann noch einmal zu einem kurzen Abendspaziergang auf. Auf den gezackten Bergspitzen, die
aussehen wie die Dolomiten, sind gerade noch die letzten rötlichen Sonnenstrahlen zu sehen. Mit ist es zu kalt, und so trolle ich mich lieber
zurück ins Warme, um dort in Ruhe mein Tagebuch zu schreiben. Kurz bevor ich den Camper erreiche, kommt ein junger Mann auf mich zu
(offensichtlich einer der Zelter) und fragt mich, ob wir hier schon lange stehen und ob ich etwas über das andere Zelt wüßte. Nein, weiß ich leider
nicht. Kurze Zeit spät kommt Horst dann auch und erzählt mir, was passiert ist. Während die beiden Zelter ihr Essen gekocht haben, hat jemand
ihr Zelt gestohlen. Nun haben sie weder ein Dach über dem Kopf, noch Schlafsäcke oder sonst was. Horst ist sofort davon überzeugt, daß das
der Mensch mit dem Gewehr war, der so auffallend hastig mit dieser Plane aus dem Gebüsch kam und sich dann sehr schnell vom
Campground entfernte. Schon allein die Tatsache, daß jemand (verbotenerweise) mit einem Gewehr über einen Campingplatz geht, hätte uns
stutzig werden lassen müssen. Aber was hätten wir denn gegen jemanden mit einem Gewehr ausrichten können? Nichts! Im Gegenteil, bei der
Vorstellung, was hätte passieren können, wird es mir ganz anders.
Die beiden Zelter haben inzwischen ihr Auto geholt und sich zu den anderen
beiden jungen Leuten auf den Platz gestellt und ein Lagerfeuer entfacht. Da wir unsere eigenen Schlafsäcke mitgebracht haben, sind die von
der Vermietstation noch übrig, und wir bieten sie den beiden bestohlenen Campern an. Sie können sie uns ja morgen früh wieder zurückgeben.
Dankend lehnen sie ab. Die beiden anderen haben wohl noch Decken dabei, und sie werden im Auto übernachten und morgen früh zur Polizei
fahren. Ich bezweifel, ob sie da noch etwas ausrichten können. Sie erzählen uns, daß sie nun schon vier Monate lang kreuz und quer durch
Alaska reisen, aber so etwas wie heute sei ihnen noch nirgendwo passiert. Auch ich hatte mich in all den bisherigen Kanada-Urlauben immer
sicher gefühlt. Damit ist es jetzt auf einmal vorbei, und ich werde wohl eine ziemlich unruhige Nacht verbringen. Was mich beunruhigt, ist das
Gewehr. Wenn das nicht gewesen wäre, wäre mir bestimmt auch nicht so mulmig. Dabei ist dieser Campground hier oben in den Bergen so ein
wundervoller Platz! Wir wollen gerade ins Bett gehen, da klopft es leise an der Tür. Ich habe nur einen Gedanken: Der Mann mit dem Gewehr,
und jetzt ist unser Wohnmobil auch noch futsch! Horst öffnet vorsichtig die hintereTür, und draußen stehen die beiden jungen Frauen, die uns
fragen, ob wir sie morgen früh vielleicht nach Anchorage mitnehmen würden.
Als wir ihnen sagen, daß wir morgen mit Sicherheit noch nicht in
Anchorage sein werden (wir wollen uns für den Glenn-Hwy. Zeit nehmen und unterwegs irgendwo übernachten), wollen sie es sich noch einmal
überlegen und gehen zu den anderen zurück. Wir hören sie noch lange in der Dunkelheit reden und Musik machen. Die haben Nerven! Meine
liegen jedenfalls für den Rest des Abends blank. Gegen 22.30 Uhr kommt im Stockfinsteren noch ein Wohnmobil mit aufgeblendeten
Scheinwerfern im Schneckentempo über den Platz gefahren. Leute mit Taschenlampen steigen aus und suchen das Gebüsch und die beiden
nächstgelegenen Stellplätze ab. Ich beobachte das Ganze argwöhnisch aus meinem Alkovenfenster und möchte am liebsten weg von hier. Und
dann meint mein Göttergatte, es wäre bestimmt besser, wenn wir noch eine Stunde Wache hielten, dreht sich herum und schnarcht tief und fest
vor sich hin....Bei dem angekommenen Wohnmobil scheint es sich aber wirklich um harmlose Camper zu handeln. Sie stellen ihr Wohnmobil auf
einen Stellplatz, und dann herrscht Ruhe. Meine Güte, was war das für ein Tag! So schnell werde ich den nicht vergessen.
W E I T E R
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